Verleihung der ‚Aachener Auszeichnung für Menschlichkeit‘ an Dr. Eugen Drewermann
Dokumentation –>> unten!
Eine ganz besondere Premiere steht bevor: die 1. Verleihung der ‚Aachener Auszeichnung für Menschlichkeit‘! Der erste Preisträger ist Dr. Eugen Drewermann! Die Premiere startet am Donnerstag, Himmelfahrtstag, 18. Mai, 12 Uhr auf dem Aachener Markt!
Hier unsere Pressemitteilung dazu:
Am 18. Mai, Himmelfahrtstag, dem traditionellen Verleihungstag des Karlspreises, wird das ‚Aachener Bündnis Diplomatie statt Waffen und Sanktionen‘ eine Premiere veranstalten, und zwar die erstmalige Verleihung der ‚Aachener Auszeichnung für Menschlichkeit‘. Preisträger ist der Theologe Dr. Eugen Drewermann. Herr Drewermann, der aus Termingründen nicht anwesend sein kann, wird per Life-Audio-Schaltung ‚dabei‘ sein. Die Laudatio wird der Journalist und Autor Dirk Pohlmann, z.Zt. Chefredakteur des Magazins ‚Free21‘, halten; weitere Redebeiträge werden u.a. der niederländische Rechtsanwalt Jeroen Poels leisten; auch Musik von Blue Flower und anderen steht auf dem Programm. Die Veranstaltung beginnt um 12 Uhr auf dem Markt.
Wie am letzten Sonntag, dem außerplanmäßigen Karls-Preis-Verleihtag, wird es auch am Himmelfahrtstag vorher einen Demonstrationszug geben, den das ‚Bündnis für Frieden und Einheit in Europa‘ veranstaltet. Diese Demo beginnt um 11 Uhr im Kurgarten am Eurogress und führt dann zum Markt.
Ein Grund zum Feiern! Kommt alle!
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Dokumentation:
„Aachener Auszeichnung für Menschlichkeit“ an Eugen Drewermann, 18. Mai 2023
Lernen, Russen zu sein
Von Arbeiterfotografie
Hier der Redetext (verschriftlicht von Jochen):
Liebe Freundinnen und Freunde des Friedens,
ob ich verdiene einen Preis für Menschlichkeit oder Friedfertigkeit zu bekommen, scheint mir sehr fragwürdig. Ich kenne mich soweit, in Frage zu stellen, ob ich so wirklich bin. Aber ich möchte tatsächlich nach der Botschaft der Bergpredigt denken und leben, so gut ich vermag. Und da darf ich beginnen – entsprechend den Schlusssätzen von Herrn Pohlmann (der vorab die Laudatio hielt) – mit dem Zitat aus den sogenannten Seligpreisungen:
„Richtig leben Menschen, die gewaltfrei bleiben, denn nur die werden das Land besitzen. Und richtig leben Menschen, die den Frieden bringen, sie sind Kinder Gottes.“
Alles, was Jesus zu sagen hat, habe ich von klein auf an mich bemüht als in gewissem Sinne therapeutisch zu begreifen. Es gibt vieles, was Menschen falsch machen, wo sie hilflos sind, wo sie von Gefühlen geleitet werden, die aggressiv, sogar hasserfüllt sein können. Aber in all dem kann man nicht etwas sehen, das man verurteilen und bekämpfen müsste, das man in frontalem Angriff niederringen sollte, sondern man muss die Gründe begreifen, die dahinter stehen. So habe ich es gelernt in der Psychotherapie.
„Richtet nicht“ das sind die letzten Worte der Bergpredigt und ich denke, Jesus hat recht. Solange wir auf dem Podium sitzen und herabblicken auf andere, die wir für schuldig erklären, die wir meinen, bekämpfen zu müssen, gegen die wir im Kampfmodus vorzugehen hätten, weil wir die Guten sind, zerreißen wir alles, was zusammengehört, werden wir keine besseren Menschen, sondern verinnerlichen das Böse und lösen dabei keine Probleme, sondern vermehren sie. Leo Tolstoy – der eben genannt wurde – hat dies den zentralen Satz der ganzen Bergpredigt genannt, Matthäus 5, 39: „Leistet dem Bösen keinen Widerstand.“ Das tatsächlich ist der Weg zum Frieden, auf dem auch Mahatma Gandhi gegangen ist.
Wenn wir das Böse als Symptom bekämpfen, begreifen wir nicht seine Ursachen. Und in den Reaktionsformen auf das Böse zwingen wir uns immer noch böser zu werden als derjenige, den wir bekämpfen. Also brauchen wir immer noch scheußlichere Waffen, immer noch mörderischere Geräte, müssen immer noch mehr Menschen töten, um am Ende siegreich zu werden. Das ist die Politik, die wir gerade haben und der wir widersprechen müssen. Mit Mordwaffen schaffen wir keine Menschlichkeit, mit dem Töten von Menschen schützen wir keine Menschen, mit dem Siegfrieden auf den Schlachtfeldern besiegen wir letztlich nur unsere eigene Menschlichkeit. So darf es nicht bleiben und so hat es nicht zu werden. Ich weise gerne hin auf die Zerspaltenheit, die in der Seele aller Kinder, aller Fühler, jeder heranwachsenden neuen Generation durchgesetzt wird, solange wir das Militär akzeptieren.
Es geht heute nicht um den Karlspreis, es geht nicht um Selenskyj, es geht auch aber nicht nur um die Ukraine, um die gegenwärtige Politik in der sogenannten Zeitenwende. Es geht darum, eine Schizophrenie zu überwinden, an der alle Staaten dieser Welt teilhaben. Sie erhalten sich das Militär. Sie erziehen spätestens 18-Jährige inzwischen auch Mädchen, ganz sicher Jungen, dahin, wie man technisch trainiert und routiniert Menschen tötet, auf Befehl das eigene Gewissen vergessen macht, nur noch darauf hört, was der Drill-Seargent eingebläut hat – und nichts mehr gilt.
Den Kindern hat man noch gesagt: Ihr sollt euer Kätzchen nicht ärgern, ihr sollt es streicheln. Dann schnurrt es und geht euch um die Beine. Ihr sollt mit eurem Nachbarkind nicht in Streit geraten. Ihr sollt die Tafel Schokolade mit dem jüngeren Geschwisterchen teilen. Das alles nennen wir Menschlichkeit. Und den 12-jährigen Kindern erzählen wir die Geschichte vom heilgen Franziskus und dem Wolf von Gubbio. Er geht auf das Raubtier hin und erklärt ihm: Nur aus Hunger hast du solches getan. Er umarmt den Wolf. Das sind unsere Vorbilder. Die leben im Sinne Jesu. Sie schauen auf die Gründe des Bösen und versuchen, das zu überwinden. In jeder Psychotherapie bemüht man sich, genau das zu machen.
Was gibt dann der Politik das Recht, mit Bomben und Granaten, mit allem, was zum Töten taugt, Symbole niederzupeitschen? Wir sollten im Hintergrund verstehen, was vor sich geht, wenn Menschen Dinge tun, die objektiv einem Verbrechen gleichkommen. Wann hätten wir uns interessiert für die Sicherheitsbedürfnisse der Russen, wie sie jetzt eingefallen sind in der Ukraine? Wir bekämpfen lediglich Symptome anstatt die Ursachen zu beheben. Das aber müssen wir. Es ist die Grundhaltung der Bergpredigt im Ganzen, es ist Ausweis unserer Menschlichkeit. Wir haben eine Politik, die ständig meint, Sicherheit definieren zu können durch Angstverbreitung. Wir haben die noch schlimmeren Waffen. Sie schüchtern jeden beliebigen Gegner ein. Aber das ist nicht Sicherheit, das ist der Gegensatz von allem, was wir Menschlichkeit nennen. Angstverringerung, Verständnis für die Angst, die wir dem anderen machen, das alleine wäre der Weg zum Frieden. Sobald wir das begreifen sind wir dafür, das Militär als Ganzes abzuschaffen. Es ist nichts als die Verweigerung sich zu definieren durch immer schlimmere Waffen. Auf die Art haben wir es gebracht vom Faustkeil bis zur Atombombe. Und die Welt war noch nie so unsicher, wie sie heute ist.
Wir müssen aufhören, mit dem Denken der Steinzeit mitten im Atomzeitalter weiter Politik zu betreiben und dann können wir von den uns Regierenden verlangen, dass sie teilhaben an einer Menschlichkeit, die vor 2.000 Jahren in der wirklichen Zeitenwende in der Botschaft Jesu in die Menschheit getragen wurde. Leistet dem Bösen nicht Widerstand. Lebt richtig in Gewaltverweigerung. Bietet Frieden an. Urteilt nicht über andere Menschen. Klammert eure zitternden Hände nicht in Angst um Waffen, die ihr werft, um Menschen zu töten. Schaut in die Seele der anderen und begreift, wie viel Angst ihr denen macht, aus Angst vor denen selber. Aus diesem Teufelskreis der Angstverbreitung müssen wir herauskommen und dann ist der Weg auf der Hand liegend ein jesuanischer. Abrüstung, Gewaltvermeidung, Auflösung der Militärblöcke, ein Ende der NATO, Austritt aus der Bereitschaft, uns auf dem Kasernenhof beibringen zu lassen, wie man uns zum Töten anderer Menschen kommandobereit hält. Wir sagen Nein zu alledem, indem wir Ja sagen zu uns selber, im eigenen Gewissen zu unserer Menschlichkeit.
Das ist eine Botschaft, die wir nicht rein politisch, pragmatisch, situationsgerecht, parteipolitisch ideologisieren oder durchsetzen können, denn der Wille, Macht durchsetzen zu wollen, ist verkehrt in diesem Sinne. Wir wollen nicht herrschen über andere, wir wollen Menschen zusammenführen in Versöhnung. Wir nennen nicht groß denjenigen, der die schlimmsten Waffen besitzt, wir nennen einen solchen eher niedrig und klein. Karl war ja groß, weil er die Sachsen mit dem Schwert besiegt hat. Hat er damit das Christentum verbreitet oder nicht vielmehr dessen Gegenteil verbreitet? Wir müssen zurückführen zu dem ganz einfachen, auf der Hand liegenden. Der Weg zum Frieden kann nur gewonnen werden durch Friedfertigkeit, der Weg zur Menschlichkeit nur durch Versöhnung und Menschlichkeit. Deshalb sagen wir Nein zur Gewalt des Militärs, weil wir Ja sagen zum Frieden und zur Menschlichkeit. Aber das ist uns ins eigene Herz geschrieben worden, das müssen wir nicht erfinden. Jesus hat nur ausgesprochen, was in uns selber grundgelegt ist und worauf alles wartet, dass wir es endlich glauben. Dann ist der Frieden damit beginnend, dass wir der Botschaft Jesu folgen anstatt der Dauerpropaganda, die wir jetzt in den Nachrichten hören, die wir in den Zeitungen lesen, die uns abwertet als Menschen, nur weil wir statt auf den Siegfrieden zu hoffen auf den Verhandlungsfrieden setzen.
Wir müssen miteinander reden, sonst hören wir selber auf, Menschen zu sein. Wir müssen in das Herz des anderen sehen und seine Angst begreifen und verringern. Dann hat Herr Pohlmann schon ganz richtig gesagt, auch in der Ukraine hätte das Geltung. Die Ukraine müsste militärneutral bleiben und dann könnten wir eigentlich im Handumdrehen zu Verhandlungsergebnissen kommen, die zu Friedfertigkeit, kultureller Annäherung, zum Miteinander von Menschen in Handel und Politik führen. Aber dann müssen wir von den uns Regierenden verlangen, dass sie auf sich selber hören statt eine Ideologie der Macht, der Machterweiterung, der Machtdurchsetzung, der unipolaren Hegemonialpolitik der Vereinigten Staaten von Amerika in gleicher Reihe angetreten Folge zu leisten.
Das hat den Nachteil, dass man uns dabei verleumden wird als Leute, die der Lügenpresse der Russen glauben, die Putin-Versteher sind, die nicht national genug, stark genug, freiheitsliebend genug denken. Ganz im Gegenteil. Die wirkliche Freiheit ist die Freiheit von Angst und die teilen wir mit allen im Angstabbau, in der Reduktion des Militärischen, in der Beendigung der Militärhaushalte, mit der Beendigung des Irrsinns für hunderte von Milliarden D-Mark für Rüstung, am Ende auf dem Schachbrett der Welt den Frieden präsentieren zu wollen. So ruinieren wir alles und wir gewinnen nichts, indem wir uns selber verlieren. Die Botschaft Jesu ist eine ganz einfache: Wenn dir etwas an der Handlungsweise des anderen missfällt, wenn du ihn als böse bezeichnen musst nach moralischen Begriffen, such ihn zu verstehen in den Gründen seines Handelns. Auch er ist ein Mensch und gerade er bedarf deines Beistandes.
Natürlich gibt es Gutes und Böses, aber beides hat seine Gründe und nur deren Durcharbeitung kann uns den Frieden bringen. Das meint es, wenn Jesus sagt: Leistet dem Bösen keinen Widerstand, geht nicht in Kampfmodus darauf hin, sondern man müsste sagen mit Paulus – der ihn gut verstanden hat – im Römerbrief: „Überliebt das Böse durch das Gute“. Das ist keine Utopie, das ist die Bedingung des Überlebens heute. Nur durch Versöhnung eine Welt von morgen gewinnen. Und dann müssten wir aufhören uns im Westen als die einzige Hüterin der Menschenrechte zu begreifen.
Genau das Gegenteil zeigen wir immer wieder. Wenn es eine Auflösung des Militärs gibt, ist sie identisch damit, dass wir eine neutrale, machtpolitisch neutrale Schiedsstelle einrichten, die lokal nicht auflösbare Konflikte durch einen verbindlichen Urteilsspruch zu beruhigen versucht. Das kann eigentlich, wie es heute steht, nur die UNO sein. Und das darf nicht länger die Machtanmaßung der USA sein. Wir haben eingerichtet in Den Haag ein Kriegsverbrechertribunal. Dort dürfen nicht erscheinen amerikanische Soldaten mit ihren Verbrechen, die sie begangen haben in zwei Kriegen im Irak, in ihrem Krieg in Afghanistan. Sie sind rechtsexempt, sie sind die Hüter der Gerechtigkeit in der ganzen Welt, die sie nur für sich und ihre eigene Machtpolitik beanspruchen. So darf es nicht bleiben.
Die USA erpressen oft genug die UNO, wenn sie ihnen nicht als machtpolitische Bühne zu gefallen scheint. Wir bräuchten ein machtneutrales Appellgericht, das über lokal nicht lösbar scheinende Konflikte rechtsverbindlich urteilt. Dann könnten wir des Militärs entbehren und wir wären wirklich ein Stück in die Logik der Geschichte bis zum Ende vorgekommen. Immer noch haben wir Macht, indem wir sie behaupten, entlang der eigenen Grenzen, größer aufrüstend den Gegner, während wir innenpolitisch Frieden den Bürgern auferlegen durch das Machtmonopol des Staates. Wir können verlangen, dass die Staatengemeinschaft den gleichen Friedensappellen folgt, die sie den Bürgern auferlegt. Frieden mit eurem Nachbarn ist nicht der Besitz des besseren und schlimmeren Colts, sondern die Gespräche, die ihr über den Zaun mit ihm führt zur wechselseitigen Versöhnung. Das, was wir als Bürger lernen, haben zu lernen die uns Regierenden. Die Staaten haben kein Recht, Krieg zu führen, Kriegsbereitschaft zu trainieren, Kriegsvorbereitung durch Rüstungspolitik, die immer weiter sich ausdehnt, anzustreben, um am Ende Macht zu begieren als die Freiheit, die wir für uns beanspruchen gegen jeden beliebigen Gegner.
Das Umgekehrte ist Gemeinsamkeit und dann könnten wir lernen von fremden Kulturen, zum Beispiel von den Russen. Es ist heute in der Ukraine beinah verboten, noch russisch zu lesen. Es ist in den baltischen Staaten unterdrückt, dass man russisch noch lehrt in den Schulen. Was aber hätten wir zu lernen von dem schon zitierten Tolstoy, was von dem Versteher der menschlichen Seele Dostojewski, was von dem ukrainischen Autor Gogol, der mit 24 geschrieben hat in Petersburg, eigentlich den schönsten Roman der Ukraine „Taras Bulba“?
Mein Vater, der in zwei Kriegen gewesen ist – sein musste – konnte aus dem ersten Weltkrieg an der Ostfront in der Nähe von Baranowitschy, wo er stationiert war, jeden Abend die Stimme der Russen hören aus dem Schützengraben gegenüber, wenn die russischen Soldaten begannen zu singen. Es war still in den deutschen Schützengräben. Und der Satz meines Vaters ist mir in Erinnerung. Er war kein Poet, aber durch den Gesang der Russen im gegnerischen Schützengraben lernte er ein Stück von dem, was Menschlichkeit ist.
„Die russische Seele“ sagte er, „ist eine Nachtigall.“
Dostojewski, als er eine Rede auf Puschkin halten sollte, konnte damit enden:
„Ein Russe ist ein Mensch, der alle und alles versteht. Wenn es so ist, sollten wir lernen, Russen zu sein.“
Ich danke Ihnen sehr für diesen Tag.
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Videodokumentation der Gesamtveranstaltung incl. des vorgeschalteten Demozuges.
Hier eine weiteres Video von der Gesamtveranstaltung incl. des anschließenden Demozuges.